(Foto: Kübra Yaldiz)

Kübra Yaldiz hat Bauingenieurwesen mit der Vertiefungsrichtung Konstruktiver Ingenieurbau an der Universität Stuttgart studiert. Nach Tätigkeiten als studentische Hilfskraft am Institut für Geotechnik (IGS) und dem Institut für Konstruktion und Entwurf (KE) der Universität Stuttgart und als Werkstudentin bei Züblin Spezialtiefbau GmbH verfasste sie ihre Masterarbeit am Institut für Geotechnik. In ihrer Masterarbeit führte sie Versuche zur Strömungsgeschwindigkeit der Luft in Abwasserkanälen und deren Einfluss auf den maximal extrahierbaren Wärmestrom durch. Für weitere Informationen zu Kübra Yaldiz schaut gerne auf ihrem LinkedIn Profil vorbei.

In Zeiten des Klimawandels gewinnen erneuerbare Energien zunehmend an Dynamik. Daher stellt die thermische Nutzung des Untergrunds mit Hilfe von thermisch aktivierten Abwasserkanälen eine zukunftsorientierte Möglichkeit der nachhaltigen Energiegewinnung im Wärme- und Kühlsektor dar. Bereits in den 80er Jahren wurden in Deutschland die ersten Abwasserkanäle durch die Integration von Wärmetauschern thermisch aktiviert, die Technologie wurde sodann jedoch nicht weiterverfolgt. Einige Studien zeigen bereits jetzt das thermisch verwendbare Potential des Abwassers, der Kanalluft und dem umliegenden Erdreich auf. Die Wärmerückgewinnung hängt neben der Auslegung und Standortwahl auch von physikalischen Randbedingungen innerhalb des Kanals ab, wie z. B. der Temperatur des Abwassers, der Strömungsgeschwindigkeit oder der Durchflussmenge. Die Vorplanung, Dimensionierung und Umsetzung einer Abwasserwärmenutzungsanlage ist im Merkblatt DWA-M114 geregelt. Für die optimale Planung und Realisierung einer Wärmerückgewinnungsanlage ist es essentiell, Kenntnisse über die genannten Randbedingungen zu haben, um die physikalischen Prozesse beschreiben zu können. Besonders im Bereich des Geschwindigkeits- und Temperaturfelds der Kanalluft fehlen verwertbare Studien. Ziel meiner Masterarbeit war es daher, das Temperatur- und das Geschwindigkeitsfeld der Kanalluft mit Hilfe von experimentellen Versuchen zu bestimmen und den Einfluss auf den maximal extrahierbaren Wärmestrom zu untersuchen.

Wärmetransportmechanismen im thermisch aktivierten Abwasserkanal

Grundsätzlich wird zwischen den folgenden drei Wärmetransportarten unterschieden [1]:

  • Wärmeleitung (Konduktion): Die Wärmeleitung oder Konduktion ist der Wärmetransport, der in einem Feststoff oder ruhenden Fluid durch einen Temperaturgradient bewirkt wird.
  • Strahlung (Radiation): Die Wärme wird durch elektromagnetische Wellen vom wärmeren Körper an einen kälteren Körper übertragen.
  • Konvektion, die sich in erzwungene und freie Konvektion unterteilt:
    • Erzwungene Konvektion: Wärmeübergang wird durch den Temperaturgradient und die Strömung verursacht, die durch äußere Druckdifferenz entsteht.
    • Freie Konvektion: Wärmeübergang wird durch den Temperaturgradient und die Strömung bestimmt, die durch Dichteunterschied im Fluid entsteht.

Der Wärmeentzug aus dem Boden erfolgt mit Hilfe eines künstlich aufgetragenen Temperaturgradienten im Boden, der durch das in den Absorberrohren zirkulierende Wärmeträgermittel erzeugt wird. Aufgrund der Temperaturdifferenz werden in der festen Phase und dem ruhenden Fluid die Wärme durch Wärmeleitung (Konduktion) und in der gasförmigen und flüssigen Phase durch Konvektion übertragen. Der Abwasserkanal besteht in der Regel aus einer rotationssymmetrischen Betonschale, die im Boden eingebettet ist. Im Bauteil selbst wird die Wärme hauptsächlich durch Konduktion übertragen. An der Bauteiloberfläche hin zum Erdreich findet hauptsächlich ein konduktiver Wärmetransport statt und – sofern Grundwasser vorhanden – zusätzlich noch ein konvektiver Wärmeübergang. An der Rohrwandung des Absorberrohres findet der Wärmetransport durch Wärmeleitung statt, während im Rohr durch Strömungen die erzwungene Konvektion maßgebend wird. In Abbildung 1 sind die Wärmetransportmechanismen in einem thermisch aktivierten Abwasserkanal dargestellt [2]. 

Abbildung 1: Wärmetransportmechanismen im thermisch aktivierten Abwasserkanal (Abb.: Kübra Yaldiz in Anlehnung an [3])

Versuche zur Strömungsgeschwindigkeit in Abwasserkanälen

Im Rahmen meiner Masterarbeit wurden mit Hilfe einer selbstkonstruierten Messvorrichtung experimentelle Versuche zu den Strömungsgeschwindigkeiten in Abwasserkanälen durchgeführt. Aufgrund der Corona-Pandemie war die Begehung der Kanäle bedingt durch die hohe Infektionsgefahr nicht gestattet, sodass die Messungen von den Schachtöffnungen aus erfolgten. Gemessen wurde der Luftdruck und die Temperatur inner- und außerhalb des Kanals und die Luftstromgeschwindigkeit im Kanal. Die Messvorrichtung besteht aus einer bis zu 10 m langen Teleskopstange, die sich – je nach Kanaltiefe – flexibel erweitern lässt. Die Temperatur und der Luftdruck wurden mit eigens entwickelten, digitalen Sensoren erfasst. Die Messung der Luftstromgeschwindigkeit erfolgte mit einem Anemometer. Die Abbildung 2 zeigt die selbstkonstruierte Messvorrichtung mit den einzelnen Elementen.

Abbildung 2: Teleskopstange mit den einzelnen Messinstrumenten (Abb.: Kübra Yaldiz)

Für die Messung wurde die Teleskopstange vorsichtig in den Abwasserkanal eingebracht. Die L-förmige Einhängekonstruktion wurde dabei in die hufeisenförmige Eintrittstufe eingehängt und mit zwei Gewindeschrauben kippsicher am Kanalschacht befestigt. Abbildung 3 zeigt die eingebaute Messeinrichtung im Abwasserkanal und das Messkonzept als 3D-Modell.

Außerhalb des Kanals wurde ein weiterer Sensor für die Erfassung der Außenlufttemperatur und des Luftdrucks positioniert. 

Abbildung 3: Messeinrichtung nach Einbringung in den Abwasserkanal (links), Messkonzept als 3D-Modell (rechts) (Abb.: Kübra Yaldiz)

Auswertung der Ergebnisse

Die Temperatur-, Luftdruck- und Luftstromgeschwindigkeitsdaten wurden in 15 Sekunden Intervallen erfasst. Die Messdauer variierte – je nach Batterielaufzeit – bis zu maximal fünf Tagen. Untersucht wurden insgesamt vier Kanäle mit unterschiedlichen Eigenschaften (innerer Durchmesser DN, Gefälle und Hauptsammler/Nebensammler). 

Die Kanallufttemperatur weist in allen Kanälen nahezu konstante Werte mit wenig Temperaturspitzen auf. Im Schnitt liegt die Kanallufttemperatur zwischen 12 °C und 14 °C. Die Abwassertemperatur variiert – je nach Lage und Entfernung des Kanals zur Wohnsiedlung – sehr stark. In siedlungsnahen Nebensammlern weist die Abwassertemperatur sehr hohe, volatile Werte (bis zu 30 °C) auf, die Temperaturspitzen flachen „flussabwärts“ aufgrund weiterer Zuflüsse mit anderen thermischen Lastgängen und dem Wärmeausgleich mit dem Erdreich ab. Die Außentemperatur ist dem tageszeitlichen, solaren Einfluss ausgesetzt und zeigt einen sinusförmigen Verlauf. Der Luftdruck innerhalb und außerhalb des Kanals weist nahezu identische Werte mit dem oberflächlichen atomsphärischen Luftdruck auf.

Die maximale Luftstromgeschwindigkeit (bis zu 1,12 m/s) ist im Hauptsammler-Kanal, dem Kanal mit dem größten Durchmesser, aufgezeichnet worden. In den Hauptsammler fließen auf dem Weg zur Kläranlage Abwassermengen aus den Nebensammlern zu. Er ist somit der größte Kanal mit der höchsten Zuflussmenge.

Abbildung 4 zeigt die gemessenen Temperaturen (Abwasser, Kanalluft und Außenluft) und die Luftstromgeschwindigkeit in einem der vier untersuchten Kanäle. Der Kanal 75 mit DN 1000 ist ein Hauptsammler-Kanal und ca. 300 m von der Wohnsiedlung entfernt. Die Erfassung der Daten für Temperatur und Luftdruck im Kanal 75 erfolgte vom 25.05.2021, 11:42 Uhr bis zum 29.05.2021, 05:03 Uhr. Für die Luftstromgeschwindigkeit erfolgte die Messung, aufgrund der Batterielaufzeit, nur bis zum 27.05.2021, 01:37 Uhr. Die Kanallufttemperatur schwankt zwischen den Werten 12,1 °C und 15,2 °C. Im Schnitt beträgt die Kanallufttemperatur im gemessenen Zeitraum 13,8 °C. Die Temperatursensoren haben eine Messgenauigkeit von ±0,5 °C. Die höchste gemessene Luftstromgeschwindigkeit im Kanal 75 beträgt 1,12 m/s. Im Schnitt liegt die Luftgeschwindigkeit bei 0,33 m/s. Der Mess- und der Schwellenwertbereich des Anemometers liegt bei ±0,3 m/s bis ±35 m/s mit einer Messgenauigkeit von ±0,1 m/s.

Abbildung 4: Kanal 75 – Temperaturverlauf (links) und Luftstromgeschwindigkeit (rechts)

Die Wärmestromdichte q in W/m² ist das Produkt aus dem Wärmedurchgangskoeffizienten α und der Temperaturdifferenz ∆T. Der Wärmedurchgangskoeffizient für strömende Fluide wird mit der dimensionslosen Nußelt-Zahl beschrieben. Diese ist wiederum von der Reynolds-Zahl, der Prandtl-Zahl, der Wärmeleitfähigkeit λ und der Geometrie abhängig. Außer der Reynolds-Zahl sind die anderen Parameter von der Strömungsgeschwindigkeit nahezu unabhängig. Die Wärmeleitfähigkeit λ und die Prandtl-Zahl können aus Tabellenwerken entnommen werden. Die Strömungsgeschwindigkeit (Luft und Abwasser) beeinflusst somit nur die Reynolds-Zahl, d.h. die Strömungsgeschwindigkeit hat einen direkten Einfluss auf den Wärmedurchgangskoeffizienten α. Die Temperaturen im Abwasserkanal und deren Differenz zwischen zwei Objekten (z.B. Abwasser und Kanalluft) bestimmen ebenfalls die Größe der Wärmestromdichte q. Bei der Berechnung der Wärmestromdichte wird eine konstante Abwasserströmungsgeschwindigkeit angenommen, da eine Messung über den Messintervall nicht möglich war.

Mit Hilfe der gemessenen Temperaturen und der Strömungsgeschwindigkeiten kann für die betrachteten Kanäle die Wärmestromdichte bestimmt werden. Aus aktuellen Umständen (Corona-Pandemie) konnten keine Messungen zur Temperatur an der Kanalwandinnenseite (W) durchgeführt werden. Aus diesem Anlass wurde zwischen Abwasser und Kanalwand ein Temperaturdifferenz von 1 K zugrunde gelegt. Mit der Zu-/ Abnahme der Temperaturdifferenz lässt sich die Kurve in der y-Achse verschieben, da sie ein Vielfaches von der dargestellten Situation ist (vgl. Abbildung 5 rechts). Die Wärmestromdichte zwischen Abwasser (A) und Kanalluft (L) basiert hingegen auf den tatsächlich ermittelten Werten, da die Abwasser- und Kanallufttemperatur und die Strömungsgeschwindigkeit der Kanalluft und des Abwassers gemessen worden sind (vgl. Abbildung 5 links).

Der Verlauf der Wärmestromdichte zwischen Kanalwand und Abwasser verläuft konstant, da die Abwasserströmungsgeschwindigkeit als konstant angenommen worden ist.

Abbildung 5: Kanal 75 – Wärmestromdichte zwischen Abwasser und Kanalluft (links); Wärmestromdichte zwischen Kanalwand und Kanalluft für ∆T = 1 K (rechts) (Abb.: Kübra Yaldiz)

Eine Übersicht der maximal extrahierbaren Wärmestroms in den untersuchten vier Kanälen ist in Abbildung 6 dargestellt.

Abbildung 6: Übersicht der maximal extrahierbare Wärmestromdichte in den untersuchten Abwasserkanälen (Abb.: Kübra Yaldiz)

Ausblick

Die vorliegende Arbeit ermöglicht erste Erkenntnisse zu Geschwindigkeits- und Temperaturfeldern in Kanälen zu sammeln und deren Auswirkung auf die maximal extrahierbare Wärmestromdichte zu zeigen. Die Daten können als Datenpool für weitere Untersuchungen dienen, wie z.B. zur effizienten Dimensionierung und Machbarkeitsanalyse von Abwasserwärmenutzungsanlagen. In dieser Arbeit wurde die Abwasserströmungsgeschwindigkeit jeweils für kurze Zeit gemessen und später als konstant angenommen. Um den exakten, maximal extrahierbaren Wärmestrom zu berechnen, ist der genaue Strömungsgeschwindigkeitsverlauf des Abwassers und die Temperatur an der Kanalwandinnenschale über die gemessene Zeit zu berücksichtigen. Des Weiteren sind weitere Einflussfaktoren zu Strömungsverhalten, wie z.B. Querschnittsform des Kanals, zu erforschen.

Literatur

[1]    Böckh, P. und Wetzel, T.: Wärmeübertragung. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg 2017.

[2]    Kürten, S.: Zur thermischen Nutzung des Untergrunds mit flächigen thermo-aktiven Bauteilen.: Dissertation. RWTH Aachen 2014.

[3]    Dürrenmatt, D. J. und Wanner, O.: A mathematical model to predict the effect of heat recovery on the wastewater temperature in sewers. In: Water Research, Bd. 48, S. 548-558, 2014.

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